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Mit WCMX-Pionier David Lebuser in der Skatehalle

Sit ’n‘ Skate macht Rollstuhl-Skating zum Inklusions- und Extremsport

Im Haus der Jugend Eidelstedt fahren an einem Samstagmittag um die 15 Kinder und Jugendlichen unglaublich flink über die in der Sporthalle aufwendig arrangierten Rampen. Mal steil, mal wellig, mal wackelig – alles will gewagt werden. Mittendrin ist David Lebuser, der die Skater*innen mit ein paar lässigen Zurufen und Handshakes anfeuert.

David ist für die Teilnehmer*innen so etwas wie Trainer, Mentor und Vorbild: Er hat „Wheelchair-Skating“ nach Deutschland gebracht. Ja, richtig verstanden: Hier geht es um Rollstuhl-Skating oder auch WCMX „Wheelchair-Motorcross“ (in Anlehnung an BMX, „Bicycle-Motorcross“) – also Skaten im Sitzen. In Deutschland ist diese Sportart noch weitgehend unbekannt, aber das soll sich ändern. Denn der Sport ist Davids ganze Leidenschaft. Und der Drittplatzierte der 2017er WCMX World Championships hat sich vorgenommen, andere damit anzustecken. Dafür hat er zusammen mit seiner Freundin Lisa Schmidt sit’n’skate ins Leben gerufen. Mit dem Sozialunternehmen wollen sie den gängigen Stereotypen von Behinderung neue Bilder entgegenstellen: Weg vom Defizitdenken, hin zu echten Chancen für eine inklusive Gesellschaft.

Foto: David Lebuser

Rollstuhlfahren für den Alltag und nicht ganz so alltägliche Skate-Stunts

Am heutigen Tag ist David ehrenamtlich unterwegs. Björn-Patrick Meyer, ebenso erfolgreicher WCMX-Sportler, führt mit dem Haus der Jugend Eidelstedt im „Acker pool Co“ regelmäßige WCMX-Treffs durch und David unterstützt ihn dabei, so oft es geht. Beim Ackerpoolco können Rollstuhlfahrer*innen lernen, mit dem Rollstuhl umzugehen und Hindernisse zu überwinden. „Erst einmal geht es einfach darum, selbstbewusster durch den Alltag zu kommen, aber schnell wollen die Teilnehmer*innen dann richtig skaten und sich sportlichen Herausforderungen stellen“, erzählt David.

Eine Herausforderung stellt zum Beispiel der sogenannte „Drop-In“ dar, bei dem die Skater in die sogenannte Quarterpipe einfahren. Dabei muss sich der Rollstuhlfahrer oder die Rollstuhlfahrerin zunächst am oberen Rand der Rampe in Position bringen und die vorderen Rollen in Richtung Körper heben. Dann balanciert man sich aus, nähert sich dabei langsam der Senkung – holt einmal tief Luft – und lässt sich dann fallen, ehe die Rollen wieder eins mit der Pipe werden. Wieder auf dem Boden angekommen sorgt der Adrenalin-Kick für ein breites Grinsen. Egal, ob man jetzt noch im Rollstuhl sitzt oder sich ordentlich hingelegt hat.

Foto: Georg Becker

Zwischen den ganzen Kids ist Manfred etwas ruhiger unterwegs. Er ist Rentner und erst seit wenigen Jahren querschnittsgelähmt, nachdem er bei einem Reitunfall vom Pferd fiel. „Mir machen die Skate-Treffs viel Freude. Hier trifft man auf junge, begeisterte Rollstuhlfahrer*innen, die gemeinsam eine sehr gute Zeit verbringen und sich gegenseitig unterstützen.“ Dafür kommt Manfred extra aus Neumünster angefahren. Laura kommt aus einem kleinen Dorf nahe Hannover mit ihrem Vater nach Hamburg, Theo ist zum zweiten Mal dabei und wird von seiner Tante begleitet, Réné wird von seinem gleichnamigen Pfleger und Kumpel hergebracht. WCMX hat also schon einige Fans in und um Hamburg, das Angebot ist aber noch recht begrenzt. „Schade“, findet Laura. „Wenn man einmal damit angefangen hat, lässt einen der Sport nicht mehr los.“

„Wann immer jemand sagte, ich würde hier und dort nicht hinaufkommen, hat mich das nur noch stärker motiviert.“

WCMX als Energiequelle und um gegen Stereotype anzukämpfen

David Lebuser, Jahrgang 1986, kommt ursprünglich aus Frankfurt (Oder). Er ist vom 3. Lendenwirbel an querschnittsgelähmt. Als er vor zehn Jahren ein Treppengeländer hinunterrutschen wollte, ist er stattdessen zwei Stockwerke tiefer gelandet. „Als ich aufwachte, brach natürlich erst einmal eine Welt zusammen. Ich konnte mir auch überhaupt nicht vorstellen, was Querschnittslähmung bedeutet; ich dachte, ich könne jetzt nichts mehr ohne Hilfe machen“, erinnert er sich. „Für mich war ein Rollstuhl immer an Leid gebunden.“ Im Krankenhaus schaute er Fernsehen. Es liefen gerade die Paralympics in Peking. „Mein großes Glück! Nach dem ersten Schock habe ich sehr schnell erkannt, dass ich auch ohne volle Funktionsfähigkeit meiner Beine Sport machen kann und dass es superattraktiven Sport für Behinderte gibt. Das alles half enorm, mir ein positives Bild meiner Zukunft auszumalen.“ David wurde Fan von Aaron Fotheringham, dem absoluten Star der WCMX-Szene. Der Amerikaner springt von acht Meter hohen Rampen und beherrscht als Einziger den doppelten Backflip im Rollstuhl. „Ich trainierte schon im Krankhaus und wollte unbedingt schnell kräftig und mobil werden. Als die Physiotherapeutin mit dem Rollstuhl kam, war das eher eine Erlösung. Ich habe den Rollstuhl schnell lieben gelernt.“

Nachdem David gelernt hatte, selbständig vom Boden in den Rollstuhl zu kommen, fuhr er in den Skatepark. Beim Versuch, einen Quarter entlang zu fahren, fiel er schließlich um. Die umstehende Menge bekam Panik. Und David? Der war glücklich. „Ich war nahezu überwältigt von dem Gefühl, alles einfach auszuprobieren und wieder aufzustehen, wenn ich hinfallen sollte. Mit der Zeit wurde ich besser und lernte immer neue Tricks. Wann immer jemand sagte, ich würde hier und dort nicht hinaufkommen, hat mich das nur noch stärker motiviert.“

WCMX als Beruf (-ung)

Richtige Lernsprünge machte David dann in den USA. Dort gibt es eine regelrechte WCMX-Szene mit ihren Stars. 2012 lernte er dort auf einer zweitägigen Skate-Session so viel wie in zwei Jahren zuvor. Seitdem reist er jedes Jahr in die USA und bringt neue Ideen für sein Engagement nach Deutschland.

Foto: David Lebuser

Vor fünf Jahren begann David WCMX-Wokshops zu geben und kooperierte schon bald mit der RBG Dortmund und dem Deutschen Rollstuhl-Sportverband . In Dortmund gründete er auch sit’n’skate, sein Sozialunternehmen. Sit’n’skate gäbe es aber nicht ohne Lisa Schmidt. Lisa ist Davids Freundin und die zweite Hälfte der Lebuser und Schmidt GbR. Die Beiden lernten sich bei einem Workshop von David kennen und lieben. 2017 sind sie zusammen nach Hamburg gezogen und bieten neben WCMX-Workshops inzwischen auch „klassische“ Rollstuhltrainings an, Mitarbeiterschulungen und Selbsterfahrungs-Workshops für nicht-behinderte Menschen oder Beratung in Sachen Barrierefreiheit/Berollung. Sie bespielen einen sehr amüsanten YouTube-Kanal und vermitteln Medienkompetenz an Schüler, beispielsweise in Projektwochen, in denen Rollstuhlfilme produziert werden, die mit Stereotypen aufräumen.

Die Zukunft ist eine Halfpipe

Deutschlandweit setzt sit’n’skate auf Kooperationen mit Initiativen oder Vereinen. Natürlich gibt es auch andere interessante Rollstuhlsportangebote, zum Beispiel Rollstuhl-Basketball, die David auch gerne seinen kleinen und großen Fans empfiehlt (z.B. die Angebote des Alstersport e.V., des HSV und des SVE Eidelstedt). Gerne würde er mit einer Partnerorganisation ein regelmäßiges Angebot an den Schulen etablieren, das nicht voraussetzt, dass etwa engagierte Eltern ihre Kinder stets dorthin fahren müssen. „Mein Herzensprojekt für die nähere Zukunft ist es, etwas an die Schulen zu bringen. So können die Rollstuhlfahrer vor Ort regelmäßiges Training bekommen. Da bekommst du auch die Kids, die aus welchen Gründen auch immer in ihrer Freizeit nicht die Möglichkeit bekommen, an WCMX-Treffs teilzunehmen. Es gibt so viele Kinder mit Potenzial, denen man nur mal die Chance geben müsste, sich unter Beweis zu stellen.“

Welche Herausforderung steht im Moment im Vordergrund? „Lisa und ich sind echte Macher, und es läuft bereits wirklich gut. Woran wir aber noch arbeiten müssen, ist der Vertrieb und die Akquise. Vor allem Angebote, die über die Workshops hinausgehen, müssen wir bekannter machen – da können wir uns nicht nur auf unsere Fans verlassen. Der Aufbau von Netzwerken mit Gleichgesinnten, Förderern und Geschäftspartnern wird für uns in Zukunft immer wichtiger. Wir wollen unsere Ideen in die Welt tragen!“

Wheelchair-Skating als Selbsterfahrung

Neben unserem Gespräch mit David konnten wir beim WCMX selbst erfahren, was es heißt, im Rollstuhl unterwegs zu sein. Es muss sich gar nicht wie eine Einschränkung anfühlen, wenn die Umgebung nur einigermaßen behindertenfreundlich gestaltet ist, man sich selbst ein paar Tricks beibringt und an seiner Kraft arbeitet.

Genau das ist auch ein Ziel der Workshops: Es sollen auch Leute mitmachen, die keine Gehbehinderung haben. „Die Leute fangen an, sich besser in Rollstuhlfahrer*innen hinein zu versetzen und mehr Verständnis dafür zu entwickeln, was es heißt, in nicht-barrierefreien Städten unterwegs zu sein.“ Die Behinderungen der Teilnehmer*innen sind ganz unterschiedlich. Jede und jeder ist willkommen. „Natürlich kann nicht jeder alle Tricks gleich gut oder überhaupt hinbekommen. Aber wir wollen das vorherrschende Bild des „statischen“ Rollstuhlfahrers durchbrechen. Jeder soll seine Möglichkeiten ausschöpfen und seinen ganz persönlichen Weg finden. Barrieren kann man auch überwinden, wenn man seinem Umfeld richtig vermitteln kann, was zu tun ist.“

Foto: Georg Becker

Nach drei Stunden Probe-Training an diesem Tag können wir nur erahnen, was es bedeutet, stets mit dem Rollstuhl unterwegs zu sein. Man nimmt eine neue Perspektive ein und entwickelt ein ganz anderes Gefühl für das Körpergewicht und die eigene Balance. Blaue Flecken und ein ordentlicher Muskelkater sind vorprogrammiert. Lohnen tut es sich allemal! Im Frühjahr geht es dann bald auch wieder raus ins Freie.

Das WCMX-Training im Ackerpoolco findet jeden ersten Samstag im Monat statt.

Mehr Infos: http://ackerpoolco.de/

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