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Die Gruppe auf dem Schulhof ist bunt gemischt. Frauen verschiedenen Alters stehen beieinander und besprechen sich, es herrscht ein buntes, mehrsprachiges Stimmengewirr und Lachen liegt in der Luft. Einige Frauen wirken nervös: Sie alle sind zusammengekommen, um Fahrradfahren zu lernen.

„Erwachsene lernen das Fahrradfahren ganz anders als Kinder. Draufsetzen, anschieben und schon läuft die Sache – das funktioniert meist nicht“ so Lena Pawelke, Mit-Gründerin von Bike Bridge. Der Verein bringt mit seinen Bike & Belong Angeboten seit 2016 Frauen das Fahrradfahren bei, insbesondere geflüchteten Frauen und Frauen mit Migrationserfahrung. Viele von ihnen haben noch nie auf einem Fahrrad gesessen.

Die Teilnehmerinnen auf dem Schulhof sind inzwischen voll konzentriert. Während einige vorsichtig mit Rollern und Fahrrädern ohne Pedale üben, das Gleichgewicht zu halten, sind andere bereits mutig auf das Fahrrad gestiegen. Etwas unsicher noch, aber auch fest entschlossen. Dann ist es so weit: Die Trainerinnen schieben an und geben Sicherheit für die ersten Meter – immer wieder, bis es klappt.

Eine Trainerin erzählt: „Das Training hat den meisten Teilnehmerinnen sehr viel Freude gemacht und sie waren sehr stolz auf ihre Fortschritte. Mit Begeisterung haben sie Videos gemacht und einander gezeigt, was schon alles klappt. Ich denke, das waren tolle Erlebnisse, die viel Selbstbewusstsein gegeben haben. […]“

Man mag es schon ahnen: In den Angeboten von Bike Bridge geht es nicht allein ums Fahrradfahren, dahinter steckt eine Menge mehr.

„Unsere Mission ist es, Brücken zwischen Menschen, Projekten und Organisationen zu bauen. Hierfür schaffen wir Orte der Begegnung, der Bewegung und des Austauschs. Das Fahrrad(-fahren) ist ein wirkungsvolles Instrument, mit dem wir die Gesellschaft, insbesondere Frauen, bewegen, verbinden und stärken. Unsere Aktivitäten fördern das soziale Miteinander, die räumliche und soziale Mobilität, sowie das gesellschaftliche Engagement.“ (Auszug aus dem Leitbild des Vereins)

„Das Fahrradfahren ist die größte Kraft in meinem Leben. Und ich finde es sehr aufregend, als ob ich etwas Großes in meinem Leben erreicht habe.“

(Teilnehmerin in Hamburg)

Ein Vehikel im doppelten Wortsinn

Das Fahrrad bringt die teilnehmenden Frauen zu einem räumlichen Ziel, aber auch auf den Weg zu neuen Erfahrungen und Begegnungen – es hat eine tiefe Wirkung in ihrem Leben. Welche das ist, erfasst Bike Bridge mithilfe einer Wirkungsanalyse. Voraussetzung dafür ist die strukturierte Aufbereitung des gesamten Prozesses in einer Wirkungslogik: Welche Ressourcen fließen in das Angebot? Welche Leistungen werden erbracht? Welche Veränderung wird dadurch im Leben der Teilnehmerinnen und Trainerinnen erzielt? Welche Veränderung soll auf gesellschaftlicher Ebene erreicht werden? Die Wirkungslogik schlüsselt so Schritt für Schritt auf, WELCHE Ziele WIE erreicht werden sollen. Bike Bridge stellt sie bisher in Anlehnung an die Wirkungstreppe von Phineo dar.

Wirkungstreppe für das Bike & Belong Angebot

Die eigentliche Wirkung beginnt an dem Punkt, an dem sich durch die erbrachte Leistung etwas verändert, im Leben der Zielgruppe oder auf gesellschaftlicher Ebene – wenn sich die Teilnehmerinnen eines Bike & Belong Angebots zum Beispiel fitter und selbstbewusster fühlen und neue Kontakte geknüpft haben.

„Außerdem hat Bike Bridge – besonders am Anfang – intensiv mit dem Problembaum gearbeitet und tut es noch“, sagt Sarah Bulang, seit August 2020 Wirkungsmanagerin des Vereins. „Er ist vor allem bei der Bedarfsanalyse sehr hilfreich, aber auch zur regelmäßigen Überprüfung, ob das Problem noch immer in der ursprünglichen Form existiert. Bei uns ist das der Fall, so dass unser Baum inzwischen recht sicher steht.*

Evaluierung von Tag eins an

Lena Pawelke erklärt: „Wir Gründerinnen kommen alle aus dem Uni-Umfeld. Zur Zeit der Gründung hatte Clara gerade ihr Studium der Sportwissenschaft/Sporttherapie (BA) beendet. Ich habe Sportwissenschaften studiert und war wissenschaftliche Mitarbeiterin am Sportinstitut der Uni Freiburg, genau wie Shahrzad. Sie hat einen Master in Sportwissenschaft und inzwischen einen Doktortitel im Bereich Sportsoziologie. Dieser Hintergrund half bei der Konzeptentwicklung. Zudem war uns von Anfang an klar, dass wir das Projekt wissenschaftlich begleiten und entsprechend monitoren und evaluieren wollen.

So erkannten sie beispielsweise, dass zwar großes Interesse an den Angeboten besteht, viele Frauen aber dennoch nicht teilnehmen konnten, weil sich niemanden um die Kinder kümmerte. Oder einige Teilnehmerinnen fühlten sich im Straßenverkehr noch zu unsicher, um allein loszufahren. Bike Bridge organsierte eine Kinderbetreuung und bot Aufbaukurse an, die auch die Teilnahme am Verkehr abdeckten. „Weil wir frühzeitig evaluiert und die Zielgruppe einbezogen haben, konnten wir schnell reagieren und letztlich auch die Teilnehmerinnen und neue Trainerinnen nachhaltig für unser Angebot gewinnen“, so Pawelke. Ein großer Vorteil, denn so können auch die Evaluierungsprozesse und Methoden mitwachsen, während der Verein sich konsequent entlang der Bedürfnisse der Zielgruppe entwickelt. „Die Analysen haben uns außerdem in der Kommunikation nach außen geholfen, denn gerade am Anfang mussten wir uns eigentlich permanent beweisen und zeigen, dass unser Programm funktioniert und etwas bewegt – beispielsweise gegenüber Unterstützer*innen, Kooperationspartner*innen, Ehrenamtlichen oder Fördergeldgeber*innen. Da war es extrem hilfreich, die passenden Werkzeuge an der Hand zu haben.“

Zählen und fragen

Aber mal konkret: Wie misst und bewertet Bike Bridge nun die Wirkung, die das Angebot des Vereins erzielt – auf die Teilnehmerinnen und Trainerinnen, auf ihre Lebensumstände, auf die Gesellschaft? Welche Methoden kommen zum Einsatz?

Zum einen arbeitet das Team mit quantitativen Messungen und erfasst beispielsweise die Anzahl der Teilnehmerinnen an den Angeboten, die Drop-out-Quote oder die Anzahl der Frauen, die nach Abschluss des Angebots Fahrradfahren können. Spannend wird es bei den Zielen, die nicht durch objektives Zählen überprüft werden können – eben dort, wo Wirkung beginnt. Wie misst man Wohlbefinden oder Veränderungen im sozialen Umfeld? Bike Bridge setzt dabei auf einen Mix von Maßnahmen, die der Situation und der Zielgruppe angepasst sind. Dazu gehören unter anderem

  • kleine und niedrigschwellige kollektive Bewertungsspiele in den Gruppen, um die Meinung aller Teilnehmerinnen zur Qualität der Inhalte zu erhalten.
  • Interviews mit ausgewählten Teilnehmerinnen und Trainerinnen zu ihren Erfahrungen und Motiven, zu Gesundheit und möglichen sozialen Veränderungen
  • Online-Befragung der Trainerinnen von Bike & Belong Angeboten an allen Standorten.

Jeweils 89 Prozent der befragten Teilnehmerinnen gaben an, dass sie durch den Kurs mehr Mut und Selbstvertrauen gewonnen haben. 67 Prozent erleben sich nun offener für Neues.

(Wirkungsanalyse 2020)

Sarah Bulang sagt: „Für jede Erhebungsmethode wägen wir ab, wie wir die besten Infos bekommen, aber auch, wie es zur Situation und zur Zielgruppe passt. Auf den ersten Blick macht es beispielsweise Sinn, die Trainerinnen vor und nach Abschluss eines Angebots zu befragen, um ihre Sicht auf die Wirksamkeit der Kurse und die Entwicklung der Teilnehmerinnen zu bekommen. In der Realität waren unsere Online-Fragebögen aber sehr umfangreich, so dass viele es mühsam fanden, sie gleich zweimal zu durchlaufen. Für die Zukunft werden wir also den Fragenkatalog anpassen, uns auf eine Befragung nach dem Angebot konzentrieren und diese mit einfachen Feedback-Spielen im Kurs ergänzen. So motivieren wir mehr Trainerinnen zur Teilnahme und bekommen dennoch aussagekräftige Ergebnisse.“

Bike Bridge wirkt

Die Wirksamkeit seines Angebots hat sich Bike Bridge 2019 mit dem Wirkt-Siegel von Phineo bestätigen lassen. Für die Zertifizierung analysieren externe Experten die bisherige Wirkungsorientierung des Programms, fordern den gesamten Prozess heraus und bringen gegebenenfalls neue Perspektiven ein. Abgesehen von möglichen hilfreichen Impulsen innerhalb der Organisation ist das Siegel ein weiterer Schritt, um sich nach außen zu beweisen, wie Bike Bridge es von Anfang mit Hilfe von Monitoring & Evaluation getan hat. Eine unabhängige Bestätigung und ein Signal an Ehrenamtliche, Förderer, Partner, das Team und viele andere.

Was kommt als nächstes?

„Wir freuen uns über das Wirkt-Siegel und die damit verbundene Bestätigung, dass unsere Arbeit in die richtige Richtung geht. Die nächste gute Nachricht in 2019 war die Zusage für eine dreijährige Förderung der Aktion Mensch Stiftung. Sie ermöglicht es uns, die Bike & Belong Angebot zu skalieren: 2020 startete ein dreijähriges Skalierungsprojekt mit dem Ziel, in sechs weiteren Städten aktiv zu werden. Gleichzeit können wir neue Projekte realisieren – wie zum Beispiel ein Angebot für Senior*innen in Freiburg: Radeln ohne Alter – und wir haben mit Sarah eine neue hauptamtliche Wirkungsmanagerin eingestellt“, erklärt Lena Pawelke.

Und so, wie Projekte und Rahmenbedingungen sich verändern, so verändert sich auch die Wirkungsmessung und Dokumentation – ein permanenter Prozess. Deswegen steht für Wirkungsmanagerin Sarah Bulang fest, dass auch Bike Bridge immer ein Verein in Bewegung sein wird. „Für die Zukunft stelle ich mir vor, unsere Wirkungsarbeit stärker an einem dynamischen Kreislauf-Modell zu orientieren, denn wie unsere Arbeit ist auch die Gesellschaft steten Veränderungen unterworfen, die wir durch unser Angebot bewirken, die aber auch durch andere Faktoren entstehen und die wiederum unsere Zielsetzungen und Arbeit beeinflussen.“

Und – lohnt sich der Aufwand?

Lena und Sarah sind sich einig: „Auf jeden Fall! In so vielen Situationen. Zu Anfang, als wir durch konsequentes Monitoring & Evaluierung zeigen konnten, dass die Kurse den Teilnehmerinnen guttun, dass wir eine Förderung verdienen, dass sich ein ehrenamtlicher Einsatz lohnt. Und auch jetzt: um die Orientierung zu behalten und die Angebote regelmäßig zu überprüfen. Nicht zu unterschätzen sind auch die Auswirkungen auf das Team: Durch die Erarbeitung der Wirkungsebenen und Ziele in Team-Workshops fließen verschiedene Perspektiven in den Prozess ein und es entsteht ein gemeinsames Verständnis über den Kern des Projekts, die Ziele und Aufgaben. Das schweißt zusammen und vereinfacht und vereinheitlicht die Kommunikation nach außen. Wir radeln in die gleiche Richtung.“

Weitere Hintergrundinfos zur Wirkungsmessung von Bike Bridge unter https://www.bikebridge.org/unsere-wirkungsmessung/

*Vertiefende Infos zu Wirkungsmessung findet Ihr beispielsweise bei

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